Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, kurz Istanbul-Konvention, trat am 1. August 2014 in Kraft. Liechtenstein hat die Konvention 2016 unterschrieben und im Juni 2021 ratifiziert. Der liechtensteinische Botschafter in Strassburg ist seit 1. Februar 2022 Vizepräsident des Komitees zur Überwachung der Umsetzung der Konvention. Gemäss liechtensteinischem Aussenministerium unterstreicht die Übernahme dieser Funktion «das liechtensteinische Engagement im Kampf gegen häusliche Gewalt und zur Förderung und zum Schutz der Frauenrechte, auch auf der internationalen Ebene».
Durch die Ratifikation soll auch im Inland die Gleichstellung von Frau und Mann ausgeweitet und der Schutz vor geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt verbessert werden. Mit Anpassungen und Änderungen in der Zivilprozessordnung und dem Ausserstreitgesetz wurde die Stellung von Opfern und Zeug/innen im Verfahren gestärkt. Für die Umsetzung der Konvention wurde Koordinationsstelle eingerichtet, die möglichst unter Einbezug der Zivilgesellschaft eine nationale Gewaltschutzstrategie (optimalerweise eingebettet in eine Gleichstellungsstrategie) umsetzt, beobachtet und bewertet. Die Koordinationsstelle wurde als ämterübergreifende Arbeitsgruppe unter der Leitung des Fachbereichs für Chancengleichheit im Amt für Soziale Dienste eingerichtet.
Am 26. Oktober 2023 lud die Koordinierungsgruppe, welche unter der Federführung des Amts für Soziale Dienste mit der Koordination der Umsetzung der Konvention in Liechtenstein beauftragt ist, zu einem zweiten Austausch mit der Zivilgesellschaft. Die Koordinierungsgruppe stellte hierbei ihren Jahresbericht (2021-2022) inklusiver deren Schwerpunktsetzung vor. Vorgängig verfassten das Frauennetz, die infra, das Frauenhaus und der Verein für Menschenrechte eine Stellungnahme zu genau diesen Schwerpunkten und gab verschiedene Empfehlung ab. Zentral ist hierin die Forderung nach einer Konventionskonformen Koordinationsstelle, welche mit ausreichend personellen und finanziellen Ressourcen ausgestatten ist (vgl. Grevio, Nr. 50). Die aktuell bestehende Gruppe kann den Auftrag so nicht leisten. Darüber hinaus wird eine einheitliche Datenerhebung der Fälle bei den Kontaktstellen (vgl. Grevio, Nr. 51) sowie eine Identifikation von Belastungsfaktoren für den Aufbau einer Gewaltschutzstrategie empfohlen.
Im Dezember 2023 erhielt Liechtenstein vom Expertengremium GREVIO Empfehlungen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Zentrale Empfehlungen von GREVIO sind die Dringlichkeit in der Schaffung eines Umsetzungsplans (S.15). Auch wird die bisher fehlende einheitliche Definition bei behördlichen und staatlichen Stellen bemängelt, welche teilweise nicht alle Formen der häuslichen Gewalt einfasst (S.12). Auch der Straftatbestand muss hinsichtlich dieser Definitionen revidiert werden. Einzelne Gewaltformen wie weibliche Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat werden laut GREVIO kaum bearbeitet, noch gibt es spezifische Hilfsangebote. GREVIO betont hinsichtlich aller Forderungen die Relevanz von Intersektionalität. Intersektionalität bedeutet, dass Personen von mehreren Diskriminierungskategorien (wie Geschlecht, Herkunft, Religion, Sexueller Orientierung etc.) betroffen sein können und dadurch besonders schützenswert sind.
- Istanbul-Konvention
- Dokument Berichterstattung Istanbul-Konvention des Amtes für Auswärtige Angelegenheiten
- Empfehlungen des Frauennetzes und des Vereins für Menschenrechte zur Umsetzung der Istanbul-Konvention
- Schattenbericht Istanbul-Konvention 2022 DE
- Schattenbericht Istanbul-Konvention 2022 EN
- Medieninformation zum Schattenbericht Istanbul-Konvention 2022
- Stellungnahme VMR infra frauenhaus zum 2. NGO-Austausch Istanbul 2023